Tee, Morgenbier & soziale Freiheiten

Über meine Begeisterung für Tee habe ich hier ja bereits geschrieben. Tee hat so eine lange Geschichte, Tradition und kulturelle, manchmal auch philosophische Bedeutung. Umso erstaunlicher, dass er in der westlichen bildenden Kunst quasi keine Rolle spielt – und das nicht einmal bei den so tee-begeisterten Briten!

Wie fing das mit dem Tee bei den Briten eigentlich an? Mit den Portugiesen: diese importierten bereits um das Jahr 1580 Tee von ihrer Handelsniederlassung in Macau nach Lissabon, sie dürften also so ziemlich die ersten Teetrinker Europas gewesen sein. Die nächsten Importeure waren die Holländer: die erste Schiffsladung mit chinesischem Tee in Holland ist für das Jahr 1610 in den Büchern vermerkt.

Und Mitte des 17. Jahrhunderts begannen schließlich auch die Briten mit dem Teehandel. Die erste Ladung mit Tee der britischen Ostindiengesellschaft erreichte England im Jahr 1664. Bei der Entwicklung der mittlerweile so berühmten englischen Teekultur spielte wiederum Portugal eine Rolle: 1662 wurde die portugiesische Prinzessin Katharina von Braganza mit dem englischen König Karl II. verheiratet. Sie sorgte dafür, dass am englischen Hof die aus ihrer Heimat bekannte Teestunde eingeführt wurde.

Natürlich war Tee in England auch schon vorher verfügbar – allerdings war er so teuer und luxuriös, dass er dem Adel und der sehr wohlhabenden Gesellschaft vorbehalten war. Er war Ausdruck einer vornehmen Gesinnung bzw. vor allem als Geschenk für „Fürsten und Adlige“ üblich.

Das neue Getränk wurde aber nicht bedingungslos gutgeheißen, im Gegenteil, lange Zeit wurde kräftig über die neuen Gewohnheiten gelästert: „Wenn ich morgens ins Haus eines Freundes kam, wurde ich gefragt, ob ich schon mein Morgenbier gehabt hätte. Jetzt werde ich gefragt, ob ich schon Tee getrunken hätte. Und anstelle des großen Bechers mit starkem Ale & Toast, und danach ein Schluck von gutem, gesundem schottischem Schnaps, wird nun der Teekessel aufs Feuer gestellt“, echauffierte sich noch 1729 der schottische Schriftsteller Mackintosh of Borlum.

Dieses Bild aus dem Jahr 1720 zeigt eine typische Teezeremonie dieser Zeit in einem gehobenen englischen Haushalt: die Familie und ihre Gäste sind repräsentativ um den Teetisch versammelt, zartes blau-weißes Porzellan steht bereit, vor der Dame des Hauses ist die wertvolle Blechdose mit den Teeblättern platziert, ein gelangweiltes Dienstmädchen schenkt aus eine silbernen Teekanne ein.

Nicht nur der Tee selbst war zunächst sehr teuer, sondern auch die damit verbundenen Utensilien wie feines Porzellan, glänzende Silberkannen, spezielle Möbel wie Teetische aus exotischem Mahagoniholz oder prächtige Gefäße für die Aufbewahrung der kostbaren Teeblätter.

Es dauerte daher seine Zeit, bis sich Tee in allen sozialen Schichten ausgebreitet hatte. Im Jahr 1744 aber konnte auch schon „der armseligste Arbeiter an den Kauf von Tee denken“. Und dieser verdrängte letztlich Tee in England auch fast gänzlich das selbstgebraute Bier.

Diese Entwicklung hatte mehrere Ursachen. Bis zur frühen Neuzeit basierten alle in Europa verbreiteten Getränke auf Alkohol. Quer durch alle gesellschaftlichen Schichten wurde Alkohol in irgendeiner Form zu jeder Tages- und Nachtzeit konsumiert, vom Morgenbier über die mittägliche Biersuppe bis hin zum Abendtrunk. Während man in den südlichen Gefilden mehr auf Wein setzte, war im Norden – und damit auch auf den britischen Inseln – Bier das am meisten verbreitete Alltagsgetränk.

Tee bot also eine ernsthafte und wichtige Alternative zu Bier, Wein und Schnaps. Ein weiterer Vorteil war, dass das Wasser zu seiner Zubereitung gekocht werden musste. Wasser war damals hygienisch äußerst bedenklich und niemand wäre auf die Idee gekommen, dieses als Getränk zu verwenden.

Radikaler feministischer Akt
Aber Tee bewirkte noch viel mehr: er entfaltete ungeahntes revolutionäres Potential. Tasha Marks, britische zeitgenössische Künstlerin sowie Lebensmittelhistorikerin, plädiert dafür, den Afternoon Tea als ‘a radical feminist act’ zu sehen.

Denn ab dem beginnenden 18. Jahrhundert übernahmen urbane, nicht berufstätige Frauen daheim schrittweise die Verantwortung für die Teezeremonie. Sie begannen, eigene private Teerunden zu organisieren.

Und so eröffneten sich bis ins 19. Jahrhundert hinein für Frauen komplett neue soziale Freiheiten. Denn die Tradition des Afternoon Tea ermöglichte es ihnen, innerhalb ihres Zuhauses Frauen und Männer zu empfangen, ohne dass der Ehemann selbst anwesend sein musste. Sie konnten nun vermehrt ihre eigenen sozialen Netzwerke entwickeln und pflegen.

Die privaten Teerunden waren derjenige Ort, an dem Frauen auch diskursiv im Mittelpunkt stehen konnten, sie konnten in der relativen Freiheit ihres privaten Heims vergleichsweise ungezwungen Gedanken äußern, im Gespräch Ideen austauschen.

Langsam änderten sich Gewohnheiten und Einstellungen: das strenge Korsett an Verhaltensweisen wurde nach und nach auch wörtlich abgelegt. Denn für diese privaten Zusammenkünfte entwickelte sich mit der Zeit eine eigene, skandalös legere Mode. Diese ermöglichte es den Frauen, die einschnürenden Mieder aus Fischbein – gemeinsam mit einigen sozialen Konventionen – zumindest in den eigenen vier Wänden allmählich abzulegen.

Oh my God! Ein paar Tonnen Teeblätter aus dem fernen China… Wer hätte gedacht, dass Tee in der britischen Gesellschaft emanzipatorisches Potential entfalten würde? Und einen Krieg auslösen? Denn die Tee-Steuer der Briten für die Amerikaner gilt vielen als Auslöser des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs … aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Genauso wie Karawanentee. 🙂

ArtFood: Essen mit Kunst.

PS: Hier kann man einem Liveticker zusehen: „Cups of tea consumed in UK so far today“, United Kingdom Tea Council.


Infos & Quellen

Bilder:
*Titelbild: Jean Étienne Liotard: Tee-Set, um 1781-83. Meisterdrucke.
*Teelandschaft: Syahir Hakim, Pixabay.
*Britische Ostindiengesellschaft, Sale Room London. Wikipedia.
*John Bowles: The Tea Table, ca. 1710. The British Museum. The image will be released to you under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) license.
*Joseph van Aken: An English Family at Tea, ca. 1720. Tate Gallery.
*Jean Étienne Liotard: Tee-Set, um 1781-83. Meisterdrucke.
*Teekanne zum diamantenen Jubiläum von Königin Victoria: Gans G. Adrian, Rolf L. Temming, Abend Voller: Das Teebuch, C. J. Bucher Verlag 1989, S.77.
*Richard Houston (after Philippe Mercier, published by Robert Sayer): Young woman with tea, ca. 1750. The British Museum. The image will be released to you under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) license.
*After George Du Maurier, illustration to London Society, II, 1862: A crowded afternoon tea-party, 1862. The British Museum. The image will be released to you under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) license.
*An afternoon Tea, 1901. Europäische Geschichte Online.

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