Die Grüne Fee

Man nehme: Wermutkraut, Anis, Fenchel, diverse weitere Kräuter sowie jede Menge Alkohol – und dann schütteln, nicht rühren. Et voilà: die Grüne Fee!

Viktor Oliva: Der Absinthtrinker; 1901

Die Muse der Künstler
Besser bekannt als Absinth, das absolute Modegetränk in Paris in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Um kaum ein anderes Getränk ranken sich derart viele Mythen: als Muse der Maler wie Vincent van Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec, Edouard Manet oder Pablo Picasso, von Schriftstellern wie Ernest Hemingway, Edgar Allen Poe oder Charles Baudelaire, serviert in den Cafés und schummrigen Bars am Montmartre. Dass Absinth für beinahe 100 Jahre verboten war und in Frankreich erst in den späten 1990er Jahren wieder öffentlich zugelassen war, hat ebenfalls zu seinem legendären Ruf beigetragen.

Die Schwester, der Geistliche & der Apotheker
Das Appetitlexikon erzählt uns eine kurze Geschichte dazu, wie Absinth Ende des 18. Jahrhunderts allmählich in den Alltag Einzug hielt:
„Eine Schwester [sic] Krankenpflegerin im damaligen Westspital zu Paris, die zugleich den Spitalgeistlichen bei der Messe zu bedienen hatte, füllte nämlich eines Tages aus Versehen das Meßkännchen aus der Absinth- statt aus der Weinflasche, der Priester schrie über Vergiftung, die Nonnen wurde verhaftet und der vermeintliche Gifttrank dem Apotheker Boudet zur Untersuchung übergeben. Boudet erkannte nicht nur den Wermutextrakt, sondern stellte auch durch Versuche am eigenen Leibe die magenstärkende Eigenschaft desselben fest, und auf seine gewichtige Empfehlung hin wurde es in guten Häusern Sitte, 10 Minute vor der Suppe als „Vortrunk“ (coup d´avant) ein Gläschen Absinth zu nehmen.“

Paris via Schweiz und Algerien
Die Ursprünge des genauen Rezepts sind nicht ganz geklärt, aber bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurde Absinth im schweizerischen Val de Travers industriell produziert. Das Wermutkraut wird seit Tausenden von Jahren als Heilmittel verwendet – und so war auch Absinth ursprünglich als Arznei im Gebrauch. Beispielsweise wurden Soldaten, die im Zuge der Kolonisierung ab 1830 Algerien besetzten, mit prophylaktisch Absinth gegen Ruhr und Malaria behandelt. Und Soldaten waren es auch, die den Wermutlikör dann nach Frankreich brachten – wo er in kürzester Zeit endgültig zum Genussmittel und absoluten Modegetränk avancierte.


La vie outrageusement bohémien
Die Pariser intellektuelle Kunst- und Kulturszene frönte ja bekannterweise einem sehr modernen und freien Lebensstil, das sogenannte legendäre Leben der Bohéme. In den Bars und Cafés fanden Maler, Philosophen, Literaten, Denker einen gemeinsamen öffentlichen Raum – wo sie am späten Nachmittag zur Happy Hour genüsslich Absinth schlürften. Männer genauso wie Frauen, auch das gehobene Bürgertum ebenso wie die Arbeiterklasse. Die „Grüne Stunde“ war ab Mitte des 19. Jahrhunderts bereits ein etabliertes Ritual. Die Pariser Künstler pflegten aber nicht nur intensiv die neue Trinkkultur, sondern reflektierten auch deren Schattenseiten in ihren Arbeiten.

Edgar Degas: Der Absinth; 1875-76

Edgar Degas´ Bild Der Absinth zeigt zwei Café-Gäste, die teilnahmslos nebeneinandersitzen und etwas lethargisch vor sich hin starren. Insbesondere die männliche Figur wirkt sehr zerzaust, ramponiert. Er steht für die Perspektivlosigkeit der unteren sozialen Schichten. Trost finden beide bei der grünen Fee im Glas. Dieses Bild wurde wegen seiner realistischen Darstellung zu seiner Zeit heftig diskutiert, es wurde als unmoralisch bezeichnet und bis Ende des 19. Jahrhunderts kaum jemals öffentlich gezeigt.

Édouard Manet: Der Absinthtrinker; 1859

Noch deutlicher war Édouard Manets Darstellung. Obwohl dieser Absinthtrinker eher wie ein Pariser Aristokrat posiert, stand angeblich ein Lumpensammler Modell. Die leere Flasche am Boden, das grün gefüllte Glas griffbereit an der rechten Hand lungert eine finstere Gestalt in den Straßen von Paris herum. Der Schatten scheint nicht recht zur Figur zu passen – zeigt sich hier vielleicht die Grüne Fee? Der Schatten als quasi personifizierte Folge des Absinthkonsums? Das war zu viel für die feine Pariser Gesellschaft: wie etliche der anderen modernen Bilder Manets und wie jenes von Degas, wurde auch dieses prompt von den offiziellen Ausstellungen ausgeschlossen.

Absinthtrinkerin, Reproduktion nach Pablo Picasso

Ein sehr frühes Werk des 20-jährigen Pablo Picasso widmet sich ebenfalls dem Thema Absinthkultur. Das Bild zeigt eine blau gekleidete Frau, am Tisch stehen eine Sodaflasche und ein Glas Absinth, beides ebenfalls in blau. Ja, da war er in seiner bekannten Blauen Periode. Es herrscht eine eher schwermütige Atmosphäre. Die verzerrten Formen der Frau weisen auf ihren Zustand hin, eine durch den Alkoholkonsum schon etwas ramponierte, vereinsamte Figur vom Rand der Gesellschaft.

Ein Mord
Die sozialen Auswirkungen des immensen Absinth-Trinkens, die gesundheitlichen Folgen aufgrund seines hohen Alkoholgehalts sowie die ökonomische Krise der Winzer aufgrund der Reblaus – all das entfachte schon bald heftige öffentliche Debatten sowie Anti-Absinth Kampagnen. Letztlich aber war ein Mordfall in der Schweiz im Jahr 1905 der Anlass für das Verbot: der Mörder trank die grüne hochprozentige Spirituose angeblich literweise. Et voilà, ab 1910 war Absinth in der Schweiz verboten, ab 1915 auch in Frankreich, und das bis in die 1990er Jahre hinein.

Die Gerätschaften
Wegen des hohen Alkoholgehalts und der starken Bitterkeit wurde Absinth meist mit Wasser verdünnt – was nicht immer gutgeheißen wurde: „Schwache Geister verschnitten übrigens schon damals den Absinth mit Wasser, eine offenbare Barbarei, denn wer den Liqueur nicht mag, der lasse ihn ungehudelt und begnüge sich mit Zuckerwasser.“, urteilt Das Appetitlexikon.

In den französischen Cafés und Bars waren Tischbrunnen üblich, meist gläserne Wasserbehälter mit mehreren Hähnen. Auf das Trinkglas wurde ein Absinthlöffel mit seiner typischen Perforierung gelegt, darauf ein Stück Zucker. Das langsam darauf tropfende Wasser löst allmählich den Zucker und die zuckrige Wasserlösung tropft in den Absinth. Dieser wird allmählich milchig, ein Effekt, wie man ihn vom griechischen Ouzo kennt.

Death in the Afternoon
Absinth war also ein Getränk, das vielfältigste Auswirkungen hatte – und unter anderem, wie hier gezeigt, Inspirationsquelle für Künstler (über Künstlerinnen wissen wir in diesem Zusammenhang nichts) war. Was passiert, wenn sich ein passionierter Trinker und Literat innig dem Absinth widmet? Davon ein ander Mal mehr. Und zwar hier: Death in the Afternoon.


Infos & Quellen
*Absinth: Wikipedia.
*Wirklich viel Content zum Absinth: Musée Virtuel de l´Absinthe (französisch).
*Eine kurze, toll visualisierte Geschichte des Absinthes: YouTube (4m 55s) (englisch).
*Robert Habs: Appetitlexikon. Ein alphabetisches Hand- und Nachschlagebuch über Speisen und Getränke. Zugleich Ergänzung eines jeden Kochbuchs; gekürzte Neuauflage Insel-Verlag 2015 (Ursprünglich Mitte/Ende 19. Jahrhundert).

Bilder:
*Viktor Oliva: Der Absinthtrinker. Wikimedia.
* Café (urspgl. in Farbe): Please Don’t sell My Artwork AS IS, Pixabay.
*Absinthglas: Wikipedia.
*Paris Montmartre (urspgl. farbig): edmondlafoto, Pixabay.
*Edgar Degas: Der Absinth. Wikipedia.
*Édouard Manet: Der Absinthtrinker. Wikipedia.
*Reproduktion nach Pablo Picasso: TopOfArt.
*Absinth mit Wasserkaraffe: alandiaspirits, Pixabay.
*Absinthlöffel: Musée Virtuel de l´Absinthe.

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