Die Geistliche Omelette

Ei mit Fischmilch zum Frühstück? Klingt nach … bäh … aber die Geschichte dazu geht so:

Paris, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr … nun ja, es sind wohl die 1810er Jahre. Und dies ist ein Abenteuer der Madame Récamier, einer sozialen Wohltäterin, die „viele Jahre lang an allen Unternehmungen teilnahm, die das grimme Elend in der Hauptstadt lindern sollten.“

Eines schönen Tages machte sie sich gegen fünf Uhr nachmittags auf den Weg zu einem namentlich nicht genannten christlichen Geistlichen, dem Herrn Hochwürden, um mit ihm über die Not bzw. deren Linderung zu konferieren. Wie war sie erstaunt, als dieser um diese Zeit schon bei Tische saß!

Madame wollte natürlich wieder fort, aber der Pfarrer bat sie zu bleiben: solch eine Konferenz ließe sich bei Tische halten. Wirklich, es war reizend gedeckt! Aus der Kristallflasche schimmerte ein alter Wein, das weiße Porzellan war ersten Ranges, auf Wärmern standen die Schüsseln, und eine Magd, kanonisch, aber proper, erwartete Befehle.

Das Mahl selbst hielt zwischen Frugalität und Feinheit die Mitte, eine Krebssuppe war eben abgetragen, auf dem Tisch prangte eine Lachsforelle, Omelette, Salat. „Mein Menü erinnert Sie, sofern Sie es vergessen haben“, sagte lächelnd der geistliche Herr, „daß nach Kirchenordnung heute Fasttag ist.“

Als der Pfarrer das Omelette in Angriff nahm, das „rund, dick und sorgsam angepaßt dalag“, da lief auch Madame Récamier lief das Wasser im Mund zusammen. „Kaum versenkte er den Löffel, da floß eine dicke Füllung aus dieser Kugel, von Anblick und Geruch verführerisch, die Schüssel lief voll davon.“

„Das ist eine Omelette au thon [Thunfisch], Spezialität meiner Köchin: wer sie auch kosten mag, der muß sie loben! – „Kein Wunder“, erwiderte Madame Récamier, „auf den weltlichsten Tafeln habe ich ein so appetitliches Gericht nicht gesehn!“.

Die Zeit verrann, es schlug sechs, Madame eilte zu ihrem Wagen, denn sie hatte einige Freunde zu Tisch – und sie war dermaßen von dieser geistlichen Omelette begeistert, dass sie es den ganzen Abend über vor ihren Gästen in den Himmel lobte.

Man braucht für dieses Rezept übrigens nicht nur Eier, Petersilie, Schalotten, Butter und Thunfisch, sondern auch die Milch von Karpfen – ich hatte Ahnung, was das ist, bitte seht unten beim „PS“ nach (wenn ihr einen guten Magen habt…).

Jean Anthèlme Brillat-Savarin, der uns diese Geschichte überliefert hat, gibt dazu noch eine spezielle Empfehlung ab: „Dieses Gericht paßt zu feinen Frühstücken, wo Kenner zusammenkommen, die wissen, was sich ziemt, und verständig speisen können. Benetzt man die Omelette dann mit einem guten alten Wein, so wirkt sie Wunder.“

Eier mit Thunfisch und Wein zum Frühstück? Hört sich weniger nach Fastenzeit als nach Reparatur-Frühstück an. 🙂

ArtFood: Essen mit Kunst.

PS: „Als Fischmilch oder -milcher, auch kurz Milch oder Melcher genannt, wird der Samen männlicher Fische, Weichtiere oder anderer im Wasser lebenden Arten bezeichnet. Diese Flüssigkeit wird während der Laichzeit auf den Rogen ausgeschieden.“ (Wikipedia)


Infos & Quellen
*Text entnommen aus: Jean Anthèlme Brillat-Savarin: Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen; erschienen 1826; ausgewählt und übersetzt von Emil Ludwig, Insel Verlag 2017.

Bilder:
*Titelfoto (bearbeitet): Nemoel Nemo, Pixabay.
*Paris: edmondlafoto, Pixabay.
*Omelette (bearbeitet): Daniel Albany, Pixabay.
*Omelette mit Gemüse: mhburton, Pixabay.
*Anderes: Alice Schmatzberger.

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