Der Honigschlecker

Seit Tausenden von Jahren dient Honig als Süßungsmittel, als Nahrungsmittel und insbesondere als Speise der Götter. Die wunderbare Geschichte von Zeus, Hera, Melissa und dem Honig habe ich hier bereits erzählt.

Und der Honigschlecker bringt uns von der griechischen Götterwelt nun zum Christentum.

Der Honigschlecker ist ein kleiner Knabe aus Gips, mit etwas pummeliger Figur und einer verwuschelten Frisur. In seiner rechten Hand hält er, besser gesagt: versteckt er einen Bienenkorb, von dem er mit seiner linken Hand den Honig nascht. Gerade schleckt er den süßen Nektar von seinem Zeigefinger.

In der barocken Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee ist er Teil eines Seitenaltars, der dem Heiligen Bernhard von Clairvaux gewidmet ist.

Joseph Anton Feuchtmayer: Der Honigschlecker, ca. 1750.

Dieser Bernhard war Mitte des 12. Jahrhunderts der weithin bekannte und bedeutende Vorsteher der französischen Abtei von Clairvaux, ein Prediger und Kirchenlehrer, der maßgeblich an der Ausbreitung des Zisterzienserordens in ganz Europa beteiligt war.

Honigfließender Lehrer
Die Figur des Honigschleckers ist ein Symbol für die „honigsüße Beredsamkeit“ des Heiligen Bernhard. Seine Begabung zur Rede, zur Predigt war so groß, dass er den Spitznamen „Doctor mellifluus“ (honigfließender Lehrer) trug, seine Worte „flossen wie Honig aus dem Mund“.

Bernhardaltar, Birnau.

Bernhard von Clairvaux hatte offenbar – so besagen es die alten Niederschriften – eine sehr spezifische Ausdrucksweise, um seinen Schäfchen den Glauben näher zu bringen. Er sprach nicht von abstrakten Heilserfahrungen im Jenseits, nein, er sprach meist vom „Schmecken der Süße des Herrn“ oder auch vom „süßen Brot der Seele“.

Damit meinte er natürlich keineswegs Nahrung für den menschlichen Körper – im Gegenteil, körperliche Sinnlichkeit bzw. schnöder Hunger oder Fleischeslust machten für Bernhard den Menschen unfähig, Gott bzw. das Göttliche schon im Diesseits wahrhaftig zu erfahren.

Tatsächlich ist (nicht nur) in der christlichen Bibel an sehr vielen Stellen von Honig die Rede. Zu den bekanntesten Redeweisen zählt sicherlich „das Land, wo Milch und Honig fließen“. Auch das biblische Manna, das Himmelsbrot, schmeckte wie Honig.

Etliche der Bibelzitate beziehen sich jedoch direkt auf Jesus Christus bzw. auf seine göttliche Botschaft. Im Buch der Psalmen heißt es etwa: „Kostet und seht, wie süß der Herr ist.“ oder auch „Herr, Deine Worte sind süß in meinem Mund, süßer als Honig meinem Gaumen“. An anderer Stelle wird betont, dass Gott wertvoller ist als Gold und süßer Honig: „Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht, sie sind köstlicher denn Gold; sie sind süßer denn Honig und Honigseim [ungeläuterter Honig].“

Diese biblische „Süße des Herrn“ ist für Bernhard von Clairvaux ein Symbol für geistige oder seelische Nahrung. In seinen Reden benutzte er dieses also dieses Sinnbild, um Jesus als süßes Brot für die Seele zu preisen.

„Mild und süß für dein Gemüt sei der Herr Jesus im Kampf mit den unheilvoll süßen Verlockungen des fleischlichen Lebens … In gleicher Weise sei er aber für den Verstand das Licht, das den Weg erleuchtet.“, soll er gepredigt haben.

Beim Heiligen Bernhard dient der Bezug zum Schmecken somit der „sinnlichen Vermittlung des himmlischen Genusses, den die Rückkehr zu Gott verspricht.“ Die Süße des Honigs und des Brotes steht in seinen Predigten als Synonym für die zu erwartende himmlische Fülle nach einem tugendhaften Leben.

Die sinnliche Erfahrung des Schmeckens von süßem Honig soll also eigentlich vom körperlichen Genuss wegführen – und hin zu einer spirituellen Sinnlichkeit, zu einem tugendhaften Weg, der letztlich eine Gotteserfahrung erst möglich macht.

ArtFood. Essen mit Kunst.


Infos & Quellen
*Stefan Zandt: Die Kultivierung des Geschmacks. Eine Transformationsgeschichte der kulinarischen Sinnlichkeit; 2021.

Bilder:
*Titelbild: Honigglas: Melanie, Pixabay.
*Grafik Zeus & Hera: Clker-Free-Vector-Images, Pixabay.
*Der Honigschlecker: Wikipedia.
*Bernhardsaltar Birnau: Wikipedia.
*Arkaden: Peter H, Pixabay.
*Klostergang: David Osta, Pixabay.

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