Die Kälte des Herzens schmelzen

Liguster gegen Zitronen – was für ein Match! Und warum überhaupt? Schauen wir beim italienischen Schriftsteller Eugenio Montale und seinem Zitronengedicht aus dem Jahr 1925 mit dem schlichten Titel I Limoni nach.

*
Hören Sie mich, die Preisträger der Dichter
sie bewegen sich nur zwischen Pflanzen
mit wenig gebräuchlichen Namen: Liguster-Buchsbaum oder Akanthus.
Ich persönlich liebe Straßen, die mit Gras bewachsen sind

die engen Straßen,
sie führen zwischen den Schilfbüscheln bergab,
zu den Gärten, zwischen den Zitronenbäumen.

Durch ein Wunder ist der Krieg still,
hier bekommen auch wir armen Menschen unseren Anteil am Reichtum
und es ist der Geruch von Zitronen.

in dieser Stille sind Dinge
sie … scheinen nahe zu sein
ihr letztes Geheimnis zu verraten,

Sie sind die Stille, in der wir uns selbst sehen.

Aber die Illusion fehlt und die Zeit bringt uns zurück
in laute Städte, in denen sich das Blau zeigt
nur in Stücken, hoch oben

die Langeweile des Winters auf den Häusern,
das Licht wird geizig – die Seele wird bitter.
Wenn eines Tages aus einer nicht ganz verschlossenen Tür
zwischen den Bäumen eines Hofes
das Gelb der Zitronen sich uns zeigt;
und die Kälte des Herzens schmilzt dahin
*

Den Literaturpreisträgern, den kapriziösen Schriftstellern wird zu Beginn dieses Gedichts also ihre abgehobene Sprache vorgeworfen, symbolisiert durch seltene Pflanzen. Diese gelehrten Dichter stehen im Gegensatz zu demjenigen, der die einfachen Pflanzen liebt und das Gras am Straßenrand, die wilden Schilfbüscheln – jemand also, der im einfachen, ehrlichen Leben des italienischen Alltags steht, symbolisiert durch Zitronenbäume in der Landschaft Liguriens.

Der Geruch der Zitronen bedeutet Reichtum für die Armen. Und sie stehen für die einfache, ursprüngliche Natur in ihrem stillen Sein. Kann man in dieser Stille den letzten Geheimnissen der Natur auf die Spur kommen? Vielleicht sogar das Göttliche spüren? Oder sieht man schließlich nur sich selbst? Weil: „Sie sind die Stille, in der wir uns selbst sehen.“ Und Bruchstücke von Göttlichkeit liegen in „jedem zurückweichenden menschlichen Schatten“.

Die Illusion, das letzte Geheimnis der Dinge begreifen zu können, verschwindet letztlich. Die Jahreszeiten gehen dahin, die Zeit bringt uns zurück in laute Städte. Wo es eher trostlos ist: der Himmel ist in den kleinen Gassen nur bruchstückhaft zu sehen, es regnet, das Licht schwindet im Winter, es wird „geizig“, die Seele wird bitter.

Und doch gibt es immer und überall, auch im anstrengendsten Alltag, kleine Momente des Glücks: jener Augenblick, in dem sich das Gelb der Zitronen durch eine zufällig offene Hoftür zeigt, es herauslugt aus einem städtischen Hinterhof, leuchtet wie die goldenen Strahlen des Sonnenscheins – und endlich die Kälte des Herzens wieder zum Schmelzen bringt.

ArtFood: Essen mit Kunst.

PS: Wie immer Copyright-bedingt hier nur Ausschnitte aus dem Gedicht.


Infos & Quellen
*Text des Gedichts „I Limoni“: Wikipedia italienisch.
*Das Gedicht wurde 1925 im ersten Gedichtband von Eugenio Montales veröffentlicht, „Ossi di Sepia“. Wikipedia italienisch.

Bilder:
*Titelbild: Pexels, Pixabay.
*Bartolomeo Bimbi: Zitrusfrüchte, 1715. Wikipedia.
*Zitrone: Pexels, Pixabay.
*Zitronen: Rajesh Balouria, Pixabay.
*Zitronenbäume: Hans, Pixabay.

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