… nach Zucker schreien wie der Hirsch nach frischem Wasser

Eine Vase mit Blumen, daneben Ribisel und Kirschen, Pfirsiche, auf einem Porzellanteller Rosinen, Datteln und Mandeln, eine Schale mit Zuckerwerk, garniert mit einer halben Zitrone. Was erzählt uns dieses wunderbare, meisterhaft gemalte Bild, ein sogenanntes Dessertstillleben aus dem Jahr 1632?

Georg Flegel: Dessertstilleben mit Blumenstrauß; 1632

Der Brauch, ein Dessert, also eine süße Speise, nach der eigentlichen Mahlzeit zu reichen, entwickelte sich in breiteren Bevölkerungsschichten in Europa erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Dies hängt eng mit den Möglichkeiten zur günstigen industriellen Produktion von Zucker zusammen. Mit der Züchtung der Zuckerrübe und der Errichtung von Zuckerrübenfabriken in Europa ab Anfang des 19. Jahrhunderts verringerte sich schrittweise die Abhängigkeit von Importen aus den Kolonialländern – und Zucker wurde für den Alltag leistbar.


Süßes gab es natürlich immer schon, beispielsweise in Form von Honig oder getrockneten Früchten. Wie schon bei Kakao erwähnt, war allerdings auch Zucker lange Zeit ein luxuriöses Gut und somit wohlhabenden bürgerlichen sowie adeligen Kreisen vorbehalten. Er musste teuer importiert werden und war zeitweise so wertvoll, dass man ihn „White Gold“ nannte.

Das in diesem Dessertstillleben dargestellte Zuckerwerk ist zur damaligen Zeit also eine ebensolche Kostbarkeit wie die Zitrone oder die goldene Schale. Eine Zitrone kostete so viel, wie ein Handwerker an einem Tag verdiente.

Nach Zucker schreien!
Einmal auf den Geschmack gekommen, wird alles Mögliche gezuckert: Wildschwein und Ravioli, Thunfischzungen oder auch Eierfrikassee mit Speck (ich gestehe ich musste im www nachschauen, was genau ein Eierfrikassee eigentlich ist..).


Das Appetitlexikon stellt gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zur Bedeutung von Zucker fest: „Zucker ist süßes Salz, d.h. nicht nur Würzstoff, sondern zugleich Nahrungsmittel. … Näheres über die kulinarische Rolle dieses universellen Nahrungsmittels anzuführen, hieße den Plattensee in die Donau schütten, denn jedem Kinde ist bewußt, daß vom einfachen Zuckerwasser bis zum hocharomatischen Kakaoliqueur, von der Ribisel bis zur Ananas, von der Mehlsuppe bis zur Mayonnaise zahllose Speisen und Getränke nach Zucker schreien wie der Hirsch nach frischem Wasser.“

Flegel & das Stillleben
Georg Flegel ist ein heutzutage weitestgehend unbekannter deutscher Maler. Er arbeitete als sogenannter Staffierer, d.h. er war als Maler auf ganz bestimmte Motive spezialisiert. Flegels Aufgabe war es, in große Gemälde von beispielsweise gedeckten Tafeln oder Märkten dann Früchte, Brot oder schönes Geschirr einzufügen – er hat also die halbfertigen Gemälde von anderen Malern fertig ausstaffiert.

Georg Flegel: Stillleben mit Obst und Zuckerwerk; ca. 1635-37

Allmählich ist Flegel aber dazu übergegangen, eigenständige Gemälde von Lebensmitteln und Speisen anzufertigen. Dies war eine bemerkenswerte Leistung, denn Mitte des 17. Jahrhunderts gab es dafür im deutschen Umfeld keinerlei Vorbilder. Die Darstellung von leblosen Objekten, Lebensmittel oder Speisen hat lange Zeit als minderwertig gegolten. Denn das non plus ultra waren dramatische Schlachtengemälde sowie religiöse und mythologische Motive.

Flegel wurde also der früheste deutsche Maler von sogenannten Stillleben. Aufgrund der wunderbaren Qualität war er zu seiner Zeit bekannt und auch nachgefragt. Er malte Desserts, Mahlzeiten, Frühstücksbilder, Bankette, Käse, Fische und ja, auch sogenannte Raucherstillleben – und das beinahe fotografisch präzise. In seinen Bildern bedeuten die Gegenstände genau das, was sie sind; es gibt hier keine geheimen Bedeutungen, keine versteckten Botschaften oder Symbole (im Unterschied zu den Gemüsebildern von Giuseppe Arcimboldo). In Anlehnung an die unglaubliche Gertrude Stein kann man sagen: Ein Stillleben ist ein Stillleben ist ein Stillleben.


Infos & Quellen
*Details zu Georg Flegel (um 1568 Olmütz – 1638 Frankfurt am Main): Kulturstiftung.de.
*Zitat zum Zucker entnommen aus: Robert Habs: Appetitlexikon. Ein alphabetisches Hand- und Nachschlagebuch über Speisen und Getränke. Zugleich Ergänzung eines jeden Kochbuchs; gekürzte Neuauflage Insel-Verlag 2015 (Ursprünglich Mitte/Ende 19. Jahrhundert).

Bilder:
*Georg Flegel: Dessertstilleben mit Blumenstrauß, 1632. Kunsthistorisches Museum Wien.
*Georg Flegel: Stillleben mit Obst und Zuckerwerk, ca. 1635-37. topofart.
*Andere: Alice Schmatzberger.

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