Dem Manet und dem Proust sein Spargel

Dass ich mich durch den siebenbändigen Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust arbeite, hatte ich ja schon einmal erwähnt. Und es ist wahrlich ein langer Weg …

Aber ich habe dabei natürlich eine spezielle ArtFood-Mission, das hilft beim Durchhalten :-). Ich lese dieses unglaubliche literarische Werk sozusagen durch eine kulinarische Brille und analysiere beispielsweise: Welche Lebensmittel, Speisen oder Getränke werden erwähnt? In welchem Zusammenhang? Wird gekocht? Klar, vom Gesinde, im Souterrain, denn die Herrschaft geht in die Küche „hinunter“, so, wie in Das Haus im Eaton Place (ja, ich bin schon in diesem Alter) oder in Downton Abbey. Wird gegessen? In welchem Rahmen und mit Genuss oder bloß in gezierter Manier?

Die überaus bekannte Episode mit den Madeleines, einem süßen französischen Gebäck, das Erinnerungen wecken kann, habe ich hier, Die Unvermeidlichen, bereits erzählt.

Édouard Manet: Spargelbund; 1880

Diesmal geht es mit Spargel weiter und auch da gibt es eine Vorgeschichte: In Dem Manet sein Spargel erzähle ich, wie der französische Kunstsammler Charles Ephrussi das Gemälde Spargelbund ersteht. Als dann der Schriftsteller Marcel Proust im Frühjahr 1899 den Sammler Ephrussi besucht, ist er von diesem Bild, das weiße Spargelstangen in so vielfältigen zarten Farbtönen darstellt, ziemlich beeindruckt. Und das kann man in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit nachlesen.

In Band 1 kehrt der Erzähler von einem längeren Spaziergang mit seinem Vater zurück und begibt sich schnurstracks in die Küche.

„Als ich hinunterging, um zu erfahren, was es zu essen geben würde, hatten die Vorbereitungen für das Abendessen schon begonnen, und Françoise … schlug die Kohle in Stücke, gab die Kartoffeln zum Weichwerden in den Dampf und ließ am Feuer kulinarische Meisterwerke garen. …
Ich blieb stehen und sah auf dem Tisch, wo das Küchenmädchen sie gerade ausgehülst hatte, Erbsen aufgereiht und abgezählt liegen wie grüne Murmeln für ein Spiel; aber hingerissen war ich vor allem von den Spargeln, in Ultramarin und Rosa getaucht, deren fein in Malvenfarbe und Himmelblau gestippte Spitzen sich unmerklich zum anderen – noch vom Boden des Spargelfeldes befleckten – Ende hin in einem Farbenschimmer verloren, der nicht von dieser Welt war.
Es war, als verrieten diese himmlischen Tönungen zerbrechliche Geschöpfe, die sich zum Spaß in Gemüse verwandelt hatten und, ganz entgegen dieser nahrhaften und ländlichen Verkleidung ihres Fleisches, in diesen der Aurora entliehenen Farben, in diesen Andeutungen des Regenbogens, in diesem Verlöschen in abendlichem Blau, jene kostbare Substanz aufscheinen ließen, die ich noch wiedererkannte, wenn sie in der Nacht nach einem Abendessen, bei dem ich davon gegessen hatte, in der Art und Weise Shakespearescher Elfenspiele ihre zugleich poetischen wie groben Possen aufführten, indem sie meinen Nachttopf in ein Duftgefäß verwandelten.“

Diese unglaublich poetische Beschreibung der Farben von weißen Spargelstangen ist also direkt auf die Begegnung von Marcel Proust mit Édouard Manets Gemälde Spargelbund zurückzuführen.

Ein paar hundert Seiten später dient der Spargelbund nochmals als Anregung für eine Episode: Unser namenloser Erzähler ist diesmal zu einer Soirée in das Pariser Haus von Herzog und Herzogin Guermantes eingeladen. Bevor man sich zu Tisch begibt, bewundert er die Sammlung an Gemälden des Malers Elstir (eine fiktive Figur, in der sich Merkmale unterschiedlicher Maler zu Zeiten von Marcel Proust widerspiegeln).

Schließlich sitzt man zu Tisch und unter anderem wird Spargel serviert. Madame de Guermantes gibt mit ihrem Federfächer ein leichtes Zeichen, auf dass dem Erzähler nochmals eine Portion Spargel in holländischer Sauce gereicht werde. Währenddessen plaudert man über die Gemäldesammlung. Und Monsieur de Guermantes macht dabei aus seiner Geringschätzung des Malers keinen Hehl:

„Im übrigen steht es aber nicht dafür … sich derart in die Malerei Elstirs zu vertiefen. Daran gefällt, dass es fein beobachtet ist, amüsant, pariserisch, und das war´s dann auch. Man braucht nicht viel von der Sache zu verstehen, um sich das anzugucken. Ich weiß schon, das sind nur einfache Farbskizzen, aber nicht mal gut gemacht, wie ich finde.
[Der Kunstliebhaber und Lebemann] Swann hatte doch die Stirn, uns zum Kauf von einem Bund Spargel zu raten. Es ist sogar ein paar Tage hiergeblieben. Es war nichts anderes auf dem Bild, ein Bund Spargel, genau wie die, die Sie gerade hinunterschlucken. Aber ich habe mich strikt geweigert, die Spargel des Herrn Elstir zu schlucken. Er wollte dreihundert Franc dafür. Dreihundert Franc, ein Bund Spargeln! Einen Louis kosten die höchstens, selbst vom Feinsten! Ich fand das keck.“

Diese kurze Szene greift also jene Geschichte auf, wie der bereits erwähnte Kunstsammler Charles Ephrussi das Spargelbild erworben hatte. Während die Bilder des fiktiven Malers Elstir innerhalb der Tischgesellschaft wenig Anklang finden, hatte der Spargelbund von Édouard Manet in der realen Welt einen breiten Einfluss auf zahlreiche andere Künstler – davon ein ander Mal mehr.

ArtFood: Essen mit Kunst.

PS: Bisher zum Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit hier bei ArtFood erschienen: Die Unvermeidlichen. Traubenkur am Beauvais. Der hyperboreische Schimmer von Milch.


Infos & Quellen
*Zitate entnommen: Proust, Marcel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit; Gesamtausgabe, Neuübersetzung Bernd-Jürgen Fischer, Reclam Verlag.

Bilder:
*Titelbild Spargel Grün: Couleur, Pixabay.
*Édouard Manet: Spargelbund, 1880. Meisterdrucke.
*Spargelköpfe weiß: Ronile, Pixabay.
*Spargel mit Sauce: dolantin, Pixabay.
* Spargel weiß gebunden: neelam279, Pixabay.
*Andere: Alice Schmatzberger

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