Weizen, hör zu!

Kühe auf saftigen grünen Wiesen mit Wildblumen. Kleine Ferkelchen, mit denen wir uns freundlich unterhalten können. Eine holde Maid mit Flechtfriseur, die mit einem Holzlöffel in einer kleinen Schüssel frische Erdbeeren ins Joghurt rührt – nun ja, ganz so funktioniert die moderne Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion natürlich nicht.

Hinter unserem Essen steht im Wesentlichen eine moderne, Chemie-basierte und zunehmend digitalisierte Agrarwirtschaft. Dazu gehören auch globale Lieferketten, mit Erdbeeren im Winter, dem Superfood Avocado aus Chile oder Peru und vielem mehr.

Und natürlich widmen sich zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen auch diesen problematischen Aspekten unseres Essens.

Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Comment expliquer la chaîne de transformation du porc aux cochons (Wie man den Schweinen die Produktionskette für Schweinefleisch erklärt), 2005.

Diesmal also bei ArtFood: der französische Fotokünstler und mittlerweile auch Umweltaktivist Thierry Boutonnier – zu sehen übrigens in der aktuellen Ausstellung „Mahlzeit“ des Dom Museums Wien (Infos zur Ausstellung am Ende des Postings).

Wie könnte die moderne Agrarwirtschaft noch etwas effizienter werden? Warum nicht mit den Betroffenen in der landwirtschaftlichen Produktion direkt kommunizieren? Mit den Kühen, den Schweinen, den Hühnern, dem Weizen und auch den landwirtschaftlichen Geräten?

Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Lecture du cours du blé au blé (Lesung des Weizenkurses für den Weizen), 2005.

Liebe Kuh, die Ziele der Milchproduktion sind Folgende! Ihr Hühner, bitte beachtet die Hygieneregeln zur Vermeidung der Vogelgrippe! Schau, Schwein, die Produktionskette für die Erzeugung von Schweinefleisch sieht folgendermaßen aus. Hallo Weizen, bitte herhören, die Unterrichtsstunde beginnt! Und schließlich müssen dem alten Traktor die Eigenschaften des Neuen erklärt werden, er wird ja ersetzt.

Die fünfteilige Fotoserie „Objectifs de production“ (Produktionsziele) thematisiert eigentlich – auch wenn diese auf den ersten Blick witzig daherkommt – die Art und Weise, wie tierisches und pflanzliches Leben durch die moderne Agrarwirtschaft systematisch benutzt, ausgebeutet, ja eigentlich verdinglicht wird. In ihrer Mischung aus Witz, Satire, Zynismus, Scheinheiligkeit und Entlarvung halte ich diese Serie nach wie vor für einen der besten künstlerischen Kommentare zur modernen Agrarwirtschaft.

Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Expliquer les objectifs de la production laitière aux vaches (Den Kühen die Ziele der Milchproduktion erklären), 2005.

Thierry Boutonnier: „Als Sohn und Bruder von Milchbauern lerne ich immer noch, wie Darstellungen von Lebensmitteln und Landwirtschaft Verschwendung, Ungerechtigkeit und ein massives Aussterben der Artenvielfalt fördern.“ Auch fragte er sich, ob „Wörter in diesen Tragödien noch etwas ausrichten können“.

Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Comment expliquer la prévention de la grippe aviaire aux poules (Wie man den Hühnern die Vorbeugung gegen die Vogelgrippe erklärt), 2005.

Als Künstler ist er daher nicht beim Ansprechen von Missständen stehen geblieben. Mittlerweile arbeitet er mit unterschiedlichen künstlerischen Methoden an der Schnittstelle zwischen Kunst, Ökologie und urbanem Wandel – und möglichst in direkter Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.

Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Présentation de la brochure du nouveau tracteur à l’ancien (Präsentation der Broschüre über den neuen Traktor an den alten Traktor), 2005

In einem seiner aktuellen Projekte, Appel d’air, begleitet Thierry Boutonnier als eine Art künstlerischer Umweltaktivist den großflächigen, mehrjährigen Ausbau des U-Bahn-Netzes im Großraum Paris. Seit 2016 und bis zum Jahr 2030 werden unter Einbeziehung der jeweils betroffenen Bürger und Bürgerinnen entlang der gesamtem U-Bahn Strecke Hunderte sogenannter „Zeugnisbäume“ versorgt und schließlich eingepflanzt. Sie verdeutlichen die „notwendige Rolle, die die Natur in der Stadt spielt“.

Und besonders schön finde ich dieses Statement am Ende eines online Artikels, den er verfasst hat: „Und um Missverständnissen vorzubeugen, die Möglichkeit, auf Ihrem Bildschirm zu erscheinen, ist vor allem eine Einladung, ihn so schnell wie möglich zu schließen, um Ihre eigene Erfahrung eines radikalen Andersseins auf unbestimmte Dauer und ohne Ziele zu machen.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

ArtFood: Essen mit Kunst.


Infos & Quellen
*Dom Museum Wien, Ausstellung „Mahlzeit“, bis 27. August 2023. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen.
*Thierry Boutonnier, Objectifs de production (Produktionsziele): Website des Künstlers.
*Zitate: L´observatoire de l´art contemporain.
*Thierry Boutonnier, Projekt Appel d´air: Website des Künstlers.

Bilder:
*Titelbild: Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Lecture du cours du blé au blé (Lesung des Weizenkurses für den Weizen), 2005, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, © Thierry Boutonnier, Foto: Alexis Vallé-Charest.
*Ferkel: G.C., Pixabay.
*Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Comment expliquer la chaîne de transformation du porc aux cochons (Wie man den Schweinen die Produktionskette für Schweinefleisch erklärt), 2005, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, © Thierry Boutonnier, Foto: Alexis Vallé-Charest.
*Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Lecture du cours du blé au blé (Lesung des Weizenkurses für den Weizen), 2005, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, © Thierry Boutonnier, Foto: Alexis Vallé-Charest.
*Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Expliquer les objectifs de la production laitière aux vaches (Den Kühen die Ziele der Milchproduktion erklären), 2005, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, © Thierry Boutonnier, Foto: Alexis Vallé-Charest.
*Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Comment expliquer la prévention de la grippe aviaire aux poules (Wie man den Hühnern die Vorbeugung gegen die Vogelgrippe erklärt), 2005, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, © Thierry Boutonnier, Foto: Alexis Vallé-Charest.
*Thierry Boutonnier, Objectifs de production: Présentation de la brochure du nouveau tracteur à l’ancien (Präsentation der Broschüre über den neuen Traktor an den alten Traktor), 2005, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, © Thierry Boutonnier, Foto: Alexis Vallé-Charest.

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