Green Death

Heute ist der Feiertag des Absinths – zumindest in den USA. Aus diesem Anlass hole ich eines meiner absoluten Lieblings-Postings vor den Vorhang: Death in the Afternoon.

Absinth: ein legendärer, lange Zeit verbotener, meist giftgrüner, bitterer Wermuthlikör, der Künstlern und Intellektuellen vor allem in Paris des 19. Jahrhunderts als Muse galt. Zahlreiche Maler, Intellektuelle und Schriftsteller pflegten eine Beziehung zum Absinth – der auch Grüne Fee genannt wurde. Heute widmet sich ArtFood einem der Trinkfestesten unter den Schriftstellern: Ernest Hemingway. 

Er ist einer der wichtigsten US-amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der sowohl den Pulitzerpreis als auch den Literaturnobelpreis gewonnen hat. Er bediente viele Künstlerklischees: einsamer Wolf, unglücklich Verliebter im Feldlazarett am Ende des 1. Weltkriegs, Trinker in den Bars der Welt, depressiver Literat, Überlebender zweier Flugzeugabstürze in Afrika, mehrmals Verheirateter.

Und ruhelos Umherziehender: USA, Kanada, Paris, wieder USA, zwei Wintersaisonen in Vorarlberg, danach Bahamas und schließlich zwei Jahrzehnte in Havanna, der kubanischen Hauptstadt. Im Jahr 1961 erschoss er sich mit seinem Gewehr, seiner „glatten, braunen Geliebten“.

Neben trockenen, eisgekühlten Martinis hegte er eine besondere Zuneigung zum Absinth, den er als Diabetiker angeblich ohne Zucker genoss. Zahlreiche seiner Romanhelden huldigen daher auch dieser Grünen Fee.

Hier nun drei längere Kostproben aus dem Hemingway´schen Literatur-Universum:

Wem die Stunde schlägt …
… ist der Titel eines der wichtigsten Romane Hemingways, in dem er den Spanischen Bürgerkrieg in den 1930er Jahren thematisiert. Der Protagonist dieser Geschichte ist Robert Jordan, ein amerikanischer Guerillakrieger und Sprengstoffexperte, der in diesem Krieg gegen General Franco und seine faschistische Bewegung kämpft. Sein Auftrag besteht darin, sich durch die feindlichen Linien zu kämpfen und eine strategisch wichtige Brücke im Hinterland zu sprengen. Dazu benötigt er unter anderem die Hilfe von Pablo und dessen Widerstandskämpfern.

In all dem Irrsinn im Alltag des Krieges ist eine Flasche Absinth so ziemlich der einzige Trost, mit Hilfe der Grünen Fee schwelgt Robert Jordan in Erinnerungen an das einst süße Leben in Paris. Jordan und sein local Guide Anselmo ziehen also durch unwegsames spanisches Gelände und wir ein kleines Stück mit ihnen.

„Sie gingen am Rande der Lichtung entlang, ein grauer Nebel bedeckte den Boden. Nun war das Gras unter den Füßen von einer üppigen Weichheit, anders als zuvor der harte Nadelboden des Waldes, und die Feuchte des Taus drang durch die leinenen Schuhe. Ein Stück weiter vorne zwischen den Stämmen sah Robert Jordan ein Licht schimmern, und er wußte, dort mußte der Eingang zur Höhle liegen. … Drinnen war es warm und rauchig. An der einen Wand stand ein Tisch und darauf eine Talgkerze in einem Flaschenhals, und an dem Tisch saßen Pablo, drei Männer, die er nicht kannte, und der Zigeuner Rafael. … In der einen Ecke beugte Pablos Weib sich über ein Holzkohlenfeuer auf dem offenen Herd. Neben ihr kniete das Mädchen und rührte in einem eisernen Topf.

≫Habt ihr Wein?≪ Robert Jordan richtete diese Frage an die ganze Tischgesellschaft. Er beugte sich ein wenig vor, die Hände auf den Tisch gestützt.
≫Es ist nur noch wenig da≪, sagte Pablo mürrisch.

≫Dann möchte ich eine Tasse Wasser haben. Du!≪ rief er dem Mädchen zu. ≫Bring mir eine Tasse Wasser.≪

Er holte die lederbezogene Flasche aus der Tasche, schraubte den Deckel ab, nahm die Tasse, trank sie halb leer und goß dann sehr langsam etwas von dem Inhalt der Flasche in die Tasse. Dann sagte er zu Pablo: ≫Es ist nur noch wenig da, sonst würde ich dir etwas davon anbieten.≪

≫Ich mag Anis nicht≪, sagte Pablo. Der scharfe Geruch hatte sich über den ganzen Tisch verbreitet, und diese eine Ingredienz war Pablo bekannt.
≫Gut≪, sagte Robert Jordan. ≫Weil nur noch sehr wenig da ist.≪
≫Was ist das für ein Getränk?≪ fragte der Zigeuner.
≫Eine Medizin≪, sagte Robert Jordan. ≫Willst du kosten?≪
≫Wofür?≪
≫Für alles≪, antwortete Robert Jordan. ≫Sie heilt alles. Wenn dir irgendwas fehlt, hilft dir diese Medizin.≪
≫Laß mich kosten≪, sagte der Zigeuner.

Robert Jordan schob ihm die Tasse hin. Die Mischung war von einem milchigen Gelb. Er hoffte, der Zigeuner würde nicht mehr als einen Schluck nehmen. Es war nur noch sehr wenig davon übrig, und eine einzige Tasse ersetzte ihm die Abendzeitung, alle die schönen Abende im Café, alle die Kastanienbäume, die wohl jetzt schon in Blüte standen, die plumpen, schwerfälligen Gäule auf den äußeren Boulevards, die Bücherläden, die Kioske und Galerien, den Parc Montsouris, das Stade Buffalo, die Buttes Chaumont, die Guaranty Trust Company und die Île de la Cité, Foyots altes Hotel, und daß man abends lesen kann und sich entspannen, alles, was ihm einmal Freude gemacht und was er vergessen hatte und was ihm wieder einfiel, wenn er von diesem trüben, bitteren, die Zunge lähmenden, Hirn und Magen wärmenden, die Gedanken ablenkenden Alchimistentrunk kostete.

Der Zigeuner verzog das Gesicht und reichte die Tasse zurück. ≫Es riecht nach Anis, aber es ist bitter wie Galle≪, sagte er. ≫Lieber krank sein, als diese Medizin nehmen.≪ .. ≫Das ist der Wermut≪, sagte Robert Jordan. ≫Der echte Absinth enthält Wermut. Man sagt, er erzeugt Gehirnfäule, aber das glaube ich nicht. Man kommt bloß auf andere Gedanken. Eigentlich soll man ganz langsam das Wasser in den Absinth gießen, tropfenweise.≪ Er nahm einen großen Schluck und fühlte, wie die Flüssigkeit köstlich betäubend über seine Zunge rann.“

Tod am Nachmittag
Auch in einer Kurzgeschichte Hemingways aus dem Jahr 1932 spielt der Absinth eine wesentliche Rolle. In Tod am Nachmittag (Death in the Afternoon) widmet er sich umfassend der kulturellen Bedeutung und Rolle des Stierkampfes.

Immer wieder werden in dieser Geschichte ein oder gerne auch mehrere Gläser Absinth getrunken: zum Beispiel im Café Kutz, wo der namenslose Erzähler dieser Geschichte einige Personen dazu überredet, einen Stierkampf zu besuchen – mit unangenehmen Folgen: „ There were present, for the first time at bullfights, some people to whom I had spoken of the brilliance, the art, and so forth of bullfighting at great length. I had held forth a long time, stimulated to eloquence by two or three absinthes at the Café Kutz, and before they went had them all pretty eager to see a bullfight and especially this bullfight. None of them spoke to me after the fight and two, including one on whom I had hoped to make a good impression, were quite ill.“

An anderer Stelle antwortet der Erzähler auf die Frage, warum er nicht mehr als Stierkämpfer, als Matador, arbeitet: „My decision was reached on a consideration of my physical ineptitudes, on the welcome advice of my friends and from the fact that it became increasingly harder as I grew older to enter the ring happily except after drinking three or four absinthes which, while they inflamed my courage, slightly distorted my reflexes.”

Und auch die unterschiedlichen in Spanien servierten Schalentiere – wie die galizischen Entenmuscheln, Riesengarnelen, diverse Hummerarten, Austern oder Flusskrebse – schmecken für den Erzähler am besten mit … Absinth. Oder auch Bier.

The Sun Also Rises oder: Fiesta
In diesem Roman, der 1927 Hemingways Durchbruch als Schriftsteller markierte, ist der Stierkampf ebenfalls präsent. Die Geschichte spielt unter anderem in Pamplona, während der siebentägigen Fiesta San Fermin, während der auch Kampfstiere durch die engen Gassen getrieben werden. Ein Spektakel, das auch im Jahr 2021 noch jährlich stattfindet.

In diesem Roman sind so ziemlich alle Figuren, egal ob männlich oder weiblich, dem Alkohol sehr zugeneigt. Das Sachbuch „Writing under influence. Alcoholism and the Alcoholic Perception from Hemingway to Berryman“ bezeichnet The Sun Also Rises gar als ein “bemerkenswertes Portrait der Pathologie des Alkoholismus.” Der Roman würde ein trügerisches oder falsches Bild zeigen, weil er die nachteiligen Aspekte von Alkoholabhängigkeit nicht deutlich aufzeige – nun, das scheint mir etwas streng, denn The Sun Also Rises ist ja eine fiktive Geschichte über das Verloren-Sein in der Welt und keine Sachverhaltsdarstellung.

Wie auch immer: jedenfalls ist der Anti-Held und Ich-Erzähler dieser Geschichte, Jacob Barnes, genannt Jake, während des ganzen Romans unglücklich verliebt in Lady Brett Ashley – einer von mehreren Gründen, sich an ein paar Gläser Absinth anzulehnen. In einer Szene, die in Paris spielt, einer der ehemaligen Hauptstädte des Absinths, trinkt Jake interessanterweise lediglich Pernod, „a greenish imitation Absinth.“

Spätestens in Pamplona wird dann aber endlich gläserweise Absinth serviert. Vor dem Stierkampf im Café, während des Kampfes und schließlich auch danach, nachdem man im Restaurant des Hotels einige hart gekochte Eier und ein paar Flaschen Bier zu sich genommen hatte.

„“Come on over to the café,” Bill said. “I want an absinthe.” … Outside it was beginning to be cloudy again. The square was full of people and the fireworks experts were making up their set pieces for the night and covering them over with beech branches. … We watched the beginning of the evening of the last night of the fiesta. The absinthe made everything seem better. I drank it without sugar in the dripping glass, and it was pleasantly bitter.

We had another absinthe. … After a little while Bill said: “What’s the matter? Feel low?”
“Low as hell.”
“Have another absinthe. Here, waiter! Another absinthe for this señor.”
“I feel like hell,” I said.
“Drink that,” said Bill. “Drink it slow.”
It was beginning to get dark. The fiesta was going on. I began to feel drunk but I did not feel any better.
“How do you feel?”
“I feel like hell.”
“Have another?”
“It won’t do any good.”
“Try it. You can’t tell; maybe this is the one that gets it. Hey, waiter! Another absinthe for this señor!”
I poured the water directly into it and stirred it instead of letting it drip. Bill put in a lump of ice. I stirred the ice around with a spoon in the brownish, cloudy mixture.
“How is it?”
“Fine.”
“Don’t drink it fast that way. It will make you sick.”
I set down the glass. I had not meant to drink it fast.
“I feel tight.”
“You ought to.”

Absinth G´spritzter
Schließlich hat Hemingways Liebe zum Absinth ihn angeblich dazu gebracht, im Jahr 1935 einen eigenen Cocktail zu kreieren: Death in the Afternoon. Man nehme ein Stamperl Absinth, zwei Eiswürfel und gieße mit eisgekühltem Champagner auf. Salopp gesagt also eine Art nobler oder auch dekadenter, jedenfalls absolut ungewöhnlicher Absinth-G´spritzter.

Im Originalton: „Pour one jigger of absinthe into a Champagne glass. Add iced Champagne until it attains the proper opalescent milkiness. Drink three to five of these slowly.“
Prost!


Infos & Quellen
*Absinth: Wikipedia.
*Wirklich viel Content zum Absinth: Musée Virtuel de l´Absinthe (französisch).
*Eine kurze, toll visualisierte Geschichte des Absinths: YouTube (4m 55s) (englisch).
*Wem die Stunde schlägt: you-books.
*Death in the Afternoon: The University of Texas at Austin, Liberal Arts.
*The Sun Also Rises: Fadedpage Free eBooks.

Bilder:
*Titelbild: alandiaspirits, Pixabay.
*Ernest Hemingway in Kenia 1953: Wikimedia.
*Hemingway Bar Kuba: Anne & Saturnino Miranda auf Pixabay.
*Buch_Brille_Phone: Dariusz Sankowski auf Pixabay.
*Las Medulas: António Cascalheira auf Pixabay.
*Stierkampf: efes auf Pixabay.
*Absinth mit Wasserkaraffe: alandiaspirits, Pixabay.
*San Fermines: WikipediaCC BY-SA 3.0
*Alkoholika: Pexels auf Pixabay.
*Rezept Death in the Afternoon: belikehemingway.

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