Das Herz nur ein Teil der Haut

Schon mal eine Zwiebel genau betrachtet? Die wunderschönen Strukturen in ihrem Inneren, wenn man sie auseinanderschneidet. Ihre vielfältigen Farbnuancen.

Ihre vielen Schichten. Zuerst eine, die sich wie Seidenpapier anfühlt – und beim Schälen auch so raschelt. Dann abwechselnd, je nach Sorte, eine farbige und eine weiße Schicht. Und die Zwiebel hat keinen wahren Kern – wo also befindet sich ihr Innerstes? Man kann sie eigentlich nur Schicht für Schicht auflösen, bis nichts mehr überbleibt, kein Kern, kein Zentrum, kein Endpunkt, nur Nichts.

Viel schöner und sehr poetisch hat das die US-amerikanische Schriftstellerin Erica Jong beschrieben. Die Zwiebel: ihr Herz nichts anderes als ein Teil der Haut, nicht so selbstgerecht wie die Kartoffel, keine Angeberin wie die Banane, uns zu Tränen rührend.

*
I am thinking of the onion again, with its two O mouths,
like the gaping holes in nobody. Of the outer skin, pinkish
brown, peeled to reveal a greenish sphere, bald as a dead
planet, glib as glass, & an odor almost animal. I consider
its ability to draw tears, its capacity for self-scrutiny,
flaying itself away, layer on layer, in search of its heart
which is simply another region of skin, but deeper &
greener. I remember Peer Gynt; I consider its sometimes
double heart. Then I think of despair when the onion
searches its soul & finds only its various skins; & I think
of the dried tuft of roots leading nowhere & the parched
umbilicus, lopped off in the garden.

Not self-righteous
like the proletarian potato, nor a siren like the apple. No
show-off like the banana. But a modest, self-effacing
vegetable, questioning, introspective, peeling itself away,
or merely radiating halos like lake ripples.

I consider it
the eternal outsider, the middle child, the sad analysand
of the vegetable kingdom. Glorified only in France (other-
wise silent sustainer of soups & stews), unloved for itself
alone-no wonder it draws our tears! Then I think again
how the outer peel resembles paper, how soul & skin
merge into one, how each peeling strips bare a heart
which in turn turns skin…
*

Diese Zwiebel-Huldigung ist dem Gedicht Fruits & Vegetables aus dem Jahr 1971 entnommen. Erica Jong: „I wanted to look into an onion and see my soul”.

Galaxien, die wie Ribisel glitzern. Bananen, eitel wie Schriftsteller: beide wollen nur hören, wie wunderbar sie sind. Erotische Äpfel. Cantaloupe-Melonen, die an einen Sonnenuntergang in den Ruinen der antiken Stadt Paestum erinnern.

Fruits & Vegetables ist insgesamt eine Art poetische Meditation über diverses Obst und Gemüse, eine poetische Betrachtung von Dingen, die uns im Alltag begegnen und denen wir meist einfach zu wenig Aufmerksamkeit oder Neugier entgegenbringen.

ArtFood: Essen mit Kunst.

PS: Hier bei ArtFood gibt’s immer wieder Poetisches zu Essen und Lebensmittel: Thunfisch, Artischocke, Tee, Orange, Kartoffel.


Infos & Quellen
*Der Text zur Zwiebel aus dem Gedicht Fruits & Vegetables findet sich auf der Website der Schriftstellerin: Erica Jong und Zwiebel.
*Zitat Erica Jong aus dem Vorwort zum gleichnamigen Buch: Erica Jong, Fruits & Vegetables, The ECCO Press (1stECCO Ed.), 1997.

Bilder:
*Titelbild: Leopictures, Pixabay.
*Zwiebel aufgeschnitten: Stefan Schweihofer, Pixabay.
*Rote Zwiebel: Hans, Pixabay.
*Zwiebel aufgeschnitten: 11082974, Pixabay.
*Zwiebel violett: Дарья Яковлева, Pixabay.
*Zwiebel rot: Francien van Kann, Pixabay.
*Obst, Gemüse: Guillermo gavilla, Pixabay.

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