Essen im Grünen

Ein warmer Sommertag, wie geschaffen für einen Nachmittag im Grünen, in einem kleinen Wäldchen nur wenige Kilometer außerhalb von Paris.

Édouard Manet: Le Déjeuner sur l’herbe (Das Frühstück im Grünen); 1863

Der Picknickkorb ist schon fast leer, auch die Glasflasche – eine Art Flachmann – ist nur mehr halbvoll, ein kleines Stück Gebäck liegt noch herum. Gab es vielleicht auch gegrilltes Huhn? Oder Pastete? Im auf der Seite liegenden Henkelkorb finden sich noch gelbe Früchte, die an Pfirsiche erinnern, eine Art Pflaumen und vier Stück Feigen, einige Kirschen liegen auch noch herum.

Fand hier überhaupt ein Frühstück statt wie der deutschsprachige Titel dieses Bildes suggeriert? Es sind nur die Früchte sichtbar, aber keinerlei Frühstücksgetränke, keine Utensilien wie Teller, Gläser oder Besteck, keine Speisereste. Nur zwei leere Austernschalen sind noch zu sehen. Über die Tageszeit sowie über die Art der Mahlzeit bleiben wir hier also im Ungewissen.

Dieses Bild aus dem Jahr 1863, das heute als eines der absoluten Meisterwerke der Darstellung von Mahlzeiten, als ein Klassiker der westlichen Kunstgeschichte gilt, stieß zu seiner Zeit auf deutliche Ablehnung. Es löste Entrüstung aus oder wurde für einen schlechten Scherz von Édouard Manet gehalten.

…  erschütterte die Sehgewohnheiten
Zuerst fällt der Blick natürlich auf die nackte Frau. Die Darstellung einer nackten Frau bei zwei bekleideten Männern sitzend war sehr gewagt, eigentlich schon unverschämt. Wobei: Gemälde mit nackten Frauen in der Landschaft, eingebettet in Mutter Natur gab es natürlich immer schon. Diese früheren Abbildungen hatten allerdings keinerlei Aufsehen erregt, weil sie entweder Göttinnen, Nymphen oder Figuren aus der Bibel darstellten, wie etwa Susanna im Bade. Es gab also immer schon ausreichend Vorwand zur Darstellung nackter weiblicher Körper, die Museen weltweit sind voll mit derartigen Gemälden.

In diesem Bild wird allerdings eine reale Frau dargestellt. Und sie sieht aus dem Bild heraus die Betrachter direkt an. Mon Dieu! Wie unverschämt! Genau genommen ist diese Frau aber nicht nackt, sondern entkleidet, sie kann sich jederzeit wieder anziehen. Aber das sind kunsthistorische Überlegungen, die hier egal sind und überdies auch nicht erklären, warum sie sich überhaupt ausgezogen hat.

Essen im Freien
Das Picknick oder Frühstück von Édouard Manet zählt ohne Zweifel zu den berühmtesten Darstellungen von Essen im Freien in der Malerei. Dieses Thema wurde in Frankreich Mitte des 19. Jahrhunderts gerne aufgegriffen, so auch unter anderem von Claude Monet. Sein unvollendetes Bild (von dem heute nur mehr zwei Einzelteile vorhanden sind) mit dem Titel Le Déjeuner sur l’herbe (Das Frühstück im Grünen) ist eine direkte Antwort auf das gleichnamige Bild von Édouard Manet.

Claude Monet: Le Déjeuner sur l’herbe (Das Frühstück im Grünen), Mittelteil; 1865

Gezeigt wird hier eine lockere Runde mehrerer Personen in moderner Pariser Kleidung, die sich zu einem gemeinsamen Essen im Freien verabredet haben. Auf dem weißen Tischtuch liegen Brot und Brathähnchen bereit, vermutlich auch eine Pastete, es gibt Trauben und anderes Obst, Weinflaschen und Gläser stehen bereit und die Dame im getupften Sonntagskleid verteilt gerade kleine Porzellanteller. Auch hier bleibt der Zeitpunkt unklar, es könnte also ein spätes Frühstück sein, wie der deutschsprachige Titel wieder andeutet, oder eben ein Mittagessen, was der Bedeutung von „déjeuner“ entsprechen würde.

Und auch dieses Gemälde war für die damaligen Betrachter mehr als irritierend. Denn er war weder ein klassisches Landschaftsgemälde, noch ein richtiges Stillleben mit Lebensmitteln und Speisen. Kein Wunder, denn Claude Monet ging es bei diesem Bild weder ums Essen, noch um die Gruppe an Freunden, die hier zusammengekommen war.

Für ihn war nur die Frage wichtig, wie man die Stimmung, das Licht, die Schatten und die Farben eines Sommernachmittags darstellen kann. Sein Frühstück im Grünen ist somit angeblich das erste impressionistische Mahlzeitenbild in der Geschichte der Malerei. Im Jahr 1865 war dieses Gemälde ein avantgardistisches Kunstwerk.

Eranos, Prandium und Picknick
Essen im Freien, auch gemeinsam, gab es natürlich immer schon, es war auch schon in der Antike bekannt. Allerdings gab es in der Kunst lange Zeit keinen eigenen Begriff dafür. Zur Überbrückung war dann gerne von „Essen al fresco“ die Rede.

Im antiken Griechenland bezeichnete der Begriff Eranos unter anderem eine Vereinigung, die ein gemeinsames Festmahl organisiert. Ein Freundschaftsmahl, das entweder ein religiöses Fest sein kann oder aber einfach dem geselligen Beisammensein dient. Das Besondere daran war, dass jeder Gast einen Beitrag leisten musste wie beispielsweise Speisen oder Wein mitzubringen – also wie bei einem modernen Picknick oder Gartenfest. Auch die Römer trafen sich gerne mit Freunden und Familie zum Essen im Freien. Sie die bezeichneten es als Prandium, was ein zweites Frühstück meinte, das mittags eingenommen wurde.

Natürlich hatte man beispielsweise im Mittelalter auf langen Reisen auch oft Lebensmittel und Speisen eingepackt, um diese unterwegs verzehren zu können. Ebenso wurden während der Arbeit auf den Feldern oder bei langen Jagden Essenspausen eingelegt. Aber dabei handelt sich um gänzlich andere Situationen. Das Essen, die Mahlzeit passierte hier zwischendurch, in Unterbrechung einer anderen Tätigkeit.

Die hier besprochenen Gemälde zeigen hingegen jeweils Situationen, wo man sich absichtlich zu einem geselligen Beisammensein mit Essen trifft. Im Barock wurde dann das gemeinsame Essen im Freien in Adelskreisen populär, man hatte ja genügend Freizeit und vorbereiten musste man die Speisen auch nicht selbst. Insbesondere in Frankreich etablierte sich das Picknick als gesellschaftliches Sommerereignis.

Gerne auch an den Ufern der Seine
In den hier gezeigten Bildern – auch in Das Frühstück der Ruderer von Pierre-Auguste Renoir – steht bereits das freie französische Bürgertum des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt.

Auguste Renoir: Le déjeuner des canotiers (Das Frühstück der Ruderer); 1881

Renoir zeigt hier keine intime oder private Zusammenkunft, sondern ein gemeinsames Mahl. Man ist auf der Terrasse eines kleinen Ausflugslokals der Familie Fournaise zusammengekommen, auf der Insel Chatou, einer kleinen Insel in der Seine in der Nähe von Paris. Vielleicht würde man es heute als eine Art „Wassersportklub“ bezeichnen. Es ist ein sonniger Tag, die Stimmung ist heiter, man servierte Speisen und Getränke, Boote konnten gemietet werden. Die Ruderer, die Canotiers, erkennt man ihrer Berufskleidung, nämlich Strohhut und weißes ärmelloses T-Shirt.

Das Mahl ist allerdings schon vorbei, weder Geschirr noch Besteck liegen noch am Tisch. Die Leinenservietten sind bereits zerknüllt, die Flaschen ziemlich geleert, in den Gläsern sieht man Reste von Rotwein, in den kleinen bauchigen Gläser war Likör oder Cognac, in den hohen Gläsern Kaffee. Eine eventuelle Sitzordnung ist schon aufgelöst. Die Trauben und Birnen in der Obstschale deuten auf die herbstliche Jahreszeit hin. Alles in allem ist das hier vermutlich wieder eher kein Frühstück, sondern eine Mittagsmahlzeit, eben ein déjeuner.

Kleiner Hinweis: der Mann mit dem Zylinder im Bild oben rechts, der uns den Rücken zuwendet, ist Charles Ephrussi – ihn kennt ihr schon von der Geschichte mit dem Spargel.

Renoir hat dieses Thema, die Ruderer beim Mittagessen am Ufer der Seine, auch in einer intimeren Variante dargestellt. Die Atmosphäre ist hier ganz anders: Diesmal haben sich nur drei Personen zum gemeinsamen Essen, dem alfresco lunch, eingefunden.

Auguste Renoir: Le Déjeuner au bord de la rivière (Les Canotiers); 1879

Die Pergola im Hintergrund bildet einen Rahmen um die Gruppe und schirmt sie von der Umgebung ab. Alles wirkt privater, ruhiger. Aber auch hier ist das Essen schon beendet, man sieht noch ein paar Früchte, benutzte Gläser, halbleere Flaschen auf einem Silbertablett. Einer der Ruderer genießt in der ruhigen Atmosphäre eine Zigarette nach dem Essen.

Frühstück oder Mittagessen?
Unabhängig davon, ob es sich um Frühstück, Picknick oder Mittagessen handelt, ob die dargestellte Szene eher privat oder mehr öffentlich ist – die hier gezeigten Mahlzeiten-Bilder, die sogenannten Déjeuner-Bilder, haben eines gemeinsam: sie sind in Frankreich entstanden, wo die Esskultur immer schon einen besonderen Stellenwert hatte. Bereits im Mittelalter fand dort in Ansätzen so etwas wie ein gastronomischer Diskurs statt.  Daher ist diese besondere Wertschätzung des Essens bzw. von Mahlzeiten und Speisen in der französischen Malerei und Literatur stets präsent.

Mahlzeitenbilder lesen
Frühstück, Mittagessen, Teatime, Abendessen – mythologisches Göttermahl, höfische Bankette, Jagdessen, Bauernmahlzeiten, barocke Schauessen oder die biblische Hochzeit zu Kana: Mahlzeitenbilder haben in der Malerei eine lange Tradition. Immer wird dabei ein Moment eines geselligen Beisammenseins gezeigt, privat oder öffentlich, ob vormittags, mittags oder nachmittags bzw. vor, während oder nach dem Mahl.

Was mir in diesem Zusammenhang wichtig ist zu zeigen: Gemälde wie diese sind nicht nur schön anzuschauen, sie sind viel mehr Symbole ihrer Zeit. Sie bilden das damalige moderne Leben ab, die gesellschaftlichen Verhältnisse und zeigen bürgerliche private oder öffentliche Situationen. Sie sind also Spiegelbild, Kommentar oder manchmal auch Kritik der aktuellen Entwicklungen ihrer jeweiligen Zeit.

Beispielsweise sieht man im Bild von Édouard Manet Früchte, die nicht zur gleichen Zeit reifen. Es gibt also im städtischen Umfeld zu dieser Zeit bereits eine moderne Versorgung mit Lebensmitteln. Dass die Menschen am Wochenende oder am Nachmittag einen Ausflug „aufs Land“ machen, hängt unter anderem mit der Strukturierung der Woche in definierte Arbeitstage zusammen, auch mit der zunehmenden Urbanisierung. Man hat nun Freizeit, die man außerhalb der engen Stadt verbringen will. Wie in Wien das große Praterareal, so war auch die Umgebung von Paris früher ein königliches Jagdgebiet und damit dem Adel vorbehalten.

Dass diese Gebiete nun von Städtern zum Essen im Freien genutzt werden, zeigt den neuen gesellschaftlichen Stand des Bürgertums in Folge der Französischen Revolution. Der feudale Ständestaat ist abgeschafft. Ideen und Werte der Aufklärung trugen zur Entwicklung eines modernen Bürgertums bei, dessen Lebensrealität in Gemälden wie diesen abgebildet wird.

Natürlich änderten sich im Laufe der Jahrhunderte sowohl die Details in der Darstellung, als auch der jeweilige Zweck eines Mahlzeitenbildes. Davon wird hier bei ArtFood noch genauer zu erzählen sein. Bis zum nächsten Ma(h)l also!

PS: Den Maler Édouard Manet kennt ihr übrigens schon vom Absinth-Thema, Die Grüne Fee sowie vom Spargel. 🙂

ArtFood: Essen mit Kunst.


Infos & Quellen

Bilder:
*Édouard Manet, Das Frühstück im Grünen: Wikipedia.
*Claude Monet, Das Frühstück im Grünen: Wikipedia.
*Holztisch gedeckt im Freien: Elle Katie, Pixabay.
*Tempel: Christo Anestev, Pixabay.
*Pierre-Auguste Renoir, Das Frühstück der Ruderer: Wikipedia.
*Pierre-Auguste Renoir, Le Déjeuner au bord de la rivière (Les Canotiers): Wikipedia.
*Gedeckter Tisch: Lisy_ , Pixabay.
*Picknick Korb: Наталья Ковалева, Pixabay.

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